Von außen sehen Sie nicht schlecht aus

Kolumne

von Uli Zeller

So ein Baum sieht immer schön aus. Im Frühling, wenn die ersten roten und weißen Knospen zu sehen sind. Auch die dichteren Blätter im Sommer und im Herbst, die gelbgrünen Äpfel mit ihrem Duft. Selbst im Winter hat ein Baum seinen Reiz: Die Äste räkeln sich vor dem Himmel, sie heben sich vor dem weißen Himmel ab – die Silhouette jedes Baumes ist ein einzigartiges Kunstwerk.

Und trotz aller äußerlichen Schönheit kann so ein Baum innerlich leiden: Borkenkäfer, trockener Boden und heftige Stürme können dem Baum das Leben schwer machen.

Ende der 90er-Jahre stand vor dem Fenster meiner damaligen Wohnung eine riesige Eiche. Sie stand und stand und stand. Fest und unverrückbar wirkte sie. Und dann kam Weihnachten im Jahr 1999. Und mit Weihnachten kam das Sturmtief Lothar. Ich stand damals am Fenster und habe telefoniert. Draußen tobte der Sturm. Noch immer höre ich mich verdattert in den Hörer sagen: „Du, da draußen fällt gerade die Eiche um.“ Sie fiel zusammen wie ein Kartenhaus. Die Wurzel hebelte Unmengen Dreck heraus, der durch die Luft wirbelte.

Als Laie sehe ich einem Baum von außen nicht an, wie es ihm geht. Ist er gesund oder krank? Wird er dem nächsten Sturm standhalten? Auch dem Menschen sehe ich nicht an, wie es um ihn steht. Ist er so belastbar, dass er dem nächsten Sturm standhält? Oder ist er eher zerbrechlich? Hat er eine Not, die ihm das Leben schwer macht? Oder sieht er vielleicht von außen ganz anders aus als von innen?

So sieht so mancher Mensch von außen vielleicht anders aus, als es sich in seinem Inneren abspielt:

– Die glücklich wirkende Familie mit den drei süßen kleinen Kindern leidet an Schlafmangel – und manchmal rastet jemand von ihnen aus.

– Dem Geschäftsmann, der sich alles leisten kann, fehlt es an sozialen Beziehungen.

– Der abgemagerte Krebspatient dagegen, der keine vier Wochen mehr zu leben hat, ist im Inneren zutiefst glücklich. Vielleicht, weil er durch seine Krankheit zum Glauben an Gott zurückgefunden hat – oder weil er endlich seiner Ex-Frau vergeben konnte.

Und wie geht es wohl den alten Bäumen? Wie mag es mir gehen in Bezug auf das Alter? Das Alter kann man nicht proben. Man wird einfach irgendwie alt – wenn man es überhaupt wird. Werde ich lange gesund bleiben? Werde ich vergesslich und erkenne meine eigenen Kinder nicht mehr? Werde ich hilfsbedürftig und werde ich davon abhängig sein, dass mich Schwestern und Pfleger eines Tages besuchen und sich um mich kümmern und mich betreuen? Werde ich ein starker Baum sein, der durch den Sturm noch stärker wird? Oder hebeln mich die Umstände auf dem Boden heraus?

So schön ein Baum von außen auch aussehen mag – viel entscheidender ist doch seine innere Stärke. Was macht einen Baum stark? Mir fällt dazu ein Gebet aus der Bibel ein, das über das bloße Über-sich-selbst- Nachdenken hinausgeht. Es ist der Psalm 139 – und darin betont der Beter, wie sehr Gott mich erforscht.

Einige Gedanken daraus:

„HERR, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne. Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege. Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht alles wüsstest. Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.“

(Quelle: Bibleserver.com, Lutherübersetzung 2017)